Prof. Dr. Kurt Singer
Mit Schülern in achtsamer Beziehung sein – und mit sich selbst
Ermutigender Lehrer-Schüler-Kontakt – Lernbereitschaft
der Jugendlichen – Berufszufriedenheit von Lehrerinnen und Lehrern
Mit diesen Leitgedanken möchte ich Lehrerinnen und Lehrer anregen,
ihre persönlichen Berührungspunkte zum Thema Lehrer-Schüler-Beziehung
wahrzunehmen.
1. Unterrichten: eine helfende Beziehung – Lehrer-Sein: ein helfender
Beruf
Die helfende Lehrer-Schüler-Beziehung ist Grundlage des Lernens.
Sie festigt im Kind den Lernwillen und verhilft Lehrern zu Arbeitszufriedenheit.
Die pädagogische Beziehung ist ein ungleiches Verhältnis: der
Erwachsene ist überlegen, das Kind von ihm abhängig. Die Autorität
der Lehrerpersönlichkeit drückt sich darin aus, dass der Lehrer
für den Schüler Verantwortung übernimmt, sachlich informiert
ist, unterrichtlich kompetent, als Person beziehungsfähig und moralisches
Vorbild. Das grundlegende Verhältnis, das den Unterricht bestimmt,
ist nicht nur „Wissen vermitteln“, sondern der menschliche
Kontakt in einer sozial angenehmen Lernumwelt.
2. Kinder brauchen ein aufrichtendes Wort – Lehrer ebenso –
Persönlich anerkannt werden
Über das „gute Wort“ erfahren Jugendliche, vom Lehrer
akzeptiert zu werden; das stärkt ihren Glauben an sich selbst: ihr
Selbstwertgefühl. Lehrerinnen und Lehrer sollten nicht nur loben,
sondern anerkennen: genau hinsehen, das Kind erkennen
– als ganze Person. Das zustimmende Wort beflügelt,
macht zuversichtlich und verbessert die Leistungsfähigkeit. Auf den
Lehrer selbst strahlt die ermutigende Haltung positiv aus: Er kann freundlich
sein; das ist weniger anstrengend als „Bösesein“. Auch
Lehrerinnen und Lehrer brauchen Zustimmung: von Schülern, Eltern,
Vorgesetzten, Kollegen.
3. Pädagogischer Takt: Rücksichtsvoll miteinander umgehen
– Angstfreie Lernatmosphäre
Bei taktvollem Lehrerverhalten können Kinder sicher sein, nie bloßgestellt,
ausgelacht, nicht unvorhergesehen aufgerufen und ausgefragt oder an die
Tafel geschickt zu werden. Schüler werden nicht beschämt, Zensuren
und Fehler nicht öffentlich bekannt gegeben; Korrekturen erfolgen
behutsam, um Schülerarbeiten nicht zu entwerten. Taktvolle Lehrer
vermeiden es, Schwächen von Jugendlichen aufzuzeigen, sie durch Ironie
oder Spott zu beleidigen. Fehler-Freundlichkeit ist nicht nur eine Frage
des pädagogischen Taktes, sondern ein didaktisches Prinzip: Aus Fehlern
lernen, statt die Lernenden damit zu verurteilen. Durch den pädagogischen
Takt der Lehrer lernen auch die Kinder, wie man mit Mitschülern und
Lehrern achtungsvoll umgeht.
4. Zuhören: „Ganz Ohr sein“ als Beziehung stiftende
Kraft – Sich selbst und die Schüler ernst nehmen
Lehrerinnen und Lehrer neigen dazu, Kindern „gut zuzureden“,
sie zu belehren. Sie meinen, keine Zeit zu haben, Schüler in Ruhe
anzuhören: sie ausreden zu lassen, sich dafür interessieren,
was das Kind denkt und empfindet, was es ängstigt und freut, Anteil
nehmen an seinen Sorgen und Schwierigkeiten, an Enttäuschung, Hoffnung
und Leistungsstolz. Lehrer, die dem Kind zuhören, können ihm
besser helfen. Der Schüler fühlt sich ernst genommen; das stärkt
seine Lernfähigkeit – und die Bereitschaft, seinerseits der
Lehrerin zuzuhören.
5. Sich fragen: Bin ich als Lehrer zufrieden mit meiner pädagogischen
Beziehung zu Schülern?
Mit der Selbstwahrnehmung beginnt die Veränderung. Wie verwirkliche
ich pädagogischen Takt? Strengt mich der Unterricht zu sehr an? Gehe
ich zufrieden aus der Schule? Freut mich der Kontakt mit Jugendlichen?
Suche ich zu den Schülern Beziehung, oder muss ich vor allem
erziehen? In welchen Situationen kann ich das einzelne Kind „sehen“?
Wie oft richte ich an Klasse oder bestimmte Schüler ein aufrichtendes
Wort? Wie beeinflusst die Leistungsbewertung durch Noten meinen Kontakt
zu Kindern? Ängstigen mich Schüler oder Klassen? Habe ich den
Eindruck, die Kinder mögen mich? Welche von ihnen mag ich, bei welchen
fällt es mir schwer, sie anzunehmen? Lasse ich mich auf Konfliktbearbeitung
ein, oder neige ich dazu, Konflikte rasch zu unterdrücken? Was möchte
ich in meiner Lehrer-Schüler-Beziehung verbessern?
6. Die Langsamkeit entdecken – Lernen, ein Wachstumsprozess für
Schüler und Lehrer
Zum achtsamen Umgang mit Kindern und mit sich selbst gehört, sich
Zeit zu nehmen. Dass sich Lehrerinnen und Lehrer unter Zeitdruck setzen
– „Schließlich muss ich meinen Stoff durchbringen“
– führt zu innerer und äußerer Unruhe, manchmal
zu gehetzter Unterrichtsatmosphäre. Hektik stört das Lehrer-Schüler-Verhältnis
und den Unterricht, den schuldlos Langsamen wird Unrecht zugefügt.
Lernen ist ein Wachstumsprozess – und Wachsen vollzieht sich langsam.
Auch „Gras wächst nicht schneller, wenn man daran zieht“.
Ein unpädagogisches Leistungsprinzip macht blind für die Gesetze
des Lernwachstums, der Entwicklung und der Individualität. Die „Entdeckung
der Langsamkeit“ wäre eine kinderfreundliche Errungenschaft.
Sie täte auch Lehrerinnen und Lehrern gut.
7. Unachtsames Verhalten verletzt Kinder psychisch und psychosomatisch
– auch die Lehrer
Jugendliche klagen weniger über die Schule an sich, als über
einzelne Lehrer, die ihnen das Lernen und Leben schwer machen. Diese ängstigen
sie, disziplinieren sie mit Hilfe der Zensuren. Sie lesen ohne Einverständnis
der Schüler missglückte Arbeiten vor, blamieren Kinder, rufen
sie auch dann auf, wenn klar ist, dass sie keine Antwort wissen, erschrecken
Schüler mit unangesagten Proben, stellen überhöhte Leistungsforderungen,
helfen Kindern nicht, wenn sie sich schwer tun. Angst, Kränkung und
Überforderung können krank machen. Aus seelischem Leid wird
körperlicher Schmerz: Bauchweh, Spannungskopfschmerz, Magenschleimhautentzündung,
Zähneknirschen, Einnässen... Auch bei Lehrern kann sich psychischer
Druck durch schwierige Schüler, anstrengende Klassen und problematische
Arbeitsbedingungen in seelisch-leibliche Symptome verwandeln. Ein negatives
Schulklima beschädigt Schüler wie Lehrerinnen und Lehrer.
8. Gestörte pädagogische Beziehung stört das Lernen
– Das Tabu „Schwierige Lehrer“ aufheben
Unpersönlicher Unterricht, Überforderung und entwürdigende
Maßnahmen beschädigen die Fragelust, das Interesse, Vertrauen
und Selbstvertrauen, die Lust am Denken und Erfinden der Kinder. Die Lernenden
verlieren die Hoffnung auf Erfolg und sind enttäuscht in ihrem Wunsch
nach guter Beziehung. Kollegen, Eltern und Behörden sollten sich
auf die Seite der Kinder stellen, wenn diese seelisch verletzt werden.
„Schwierigen“ Lehrern gilt es Grenzen zu setzen; sie brauchen
Konfrontation, Hilfe zur Selbstreflexion, Anleitung zu lernförderndem
Unterrichten, Verpflichtung zur Weiterbildung und die Herausforderung,
unpädagogisches Verhalten zu korrigieren. Es würde dem Ansehen
der Lehrerschaft zu Gute kommen, wenn sich die pädagogisch engagierten
Kollegen vom Macht-Missbrauch der „Einzelfälle“ distanzierten.
9. Unterrichten: Schülern beim Lernen helfen – Lernschule
statt Prüfschule, Arbeits- statt Redeschule
Lehrer erweisen den Kindern den größten Respekt, wenn sie
ihnen helfen, selbst zu lernen. Das ist ihre spezielle Aufgabe: Jedem
Schüler Lernerfolg zu ermöglichen. Guter Unterricht gibt den
Jugendlichen eine Zuwendung, der sie entnehmen können, dass dem Lehrer
an ihnen liegt. Durch die geglückte Leistung wird in ihnen die Selbstachtung
gestärkt; außerdem vermittelt gemeinsames Lernen das Gefühl,
dazu zu gehören. Lehrer sollten Meister der Unterrichtsmethode sein.
Das wirkt auf sie selbst zurück: „Ich mache guten Unterricht,
das motiviert die Schüler; sie arbeiten aufmerksam mit und steigern
ihre Kenntnisse. Ich kann mich an den Erfolgen freuen und mit mir zufrieden
sein.“ Diese Erfahrungen machen Schüler und Lehrer nicht, wenn
die Schule zur Prüfschule deformiert wird, in der Kinder in einem
fort abgefragt, ausgefragt, getestet und geprüft werden, wie es in
einer paradoxen Reaktion auf PISA jetzt noch verstärkt wird.
10. Selbstbesinnung zulassen: Ist mein Unterricht so, wie ich ihn mir
wünsche?
Verstehe ich Unterricht als „helfende Beziehung“? Wie oft
freue ich mich auf den nächsten Schultag? Gelingt es mir, interesse-weckend
zu unterrichten? Kann ich mich freuen, wenn Schüler durch meinen
Unterricht etwas gelernt haben? Bin ich ausschließlich Be-Lehrer,
oder auch Lerner? Unterstütze ich durch den Unterricht menschliche
Haltungen, statt nur Wissen zu vermitteln? Muss ich manchmal
Macht ausüben und mich dabei sehr anstrengen, oder unterrichte ich
in entspanntem Arbeits-Kontakt zur Klasse? Wie helfe ich den Kindern beim
Lernen? Neige ich dazu, mich selbst zu verurteilen, wenn mir etwas nicht
glückt – oder fasse ich Mut, etwas zu verändern?
11. Entmutigung der Schüler durch unpädagogische Erlasse
– Ohne Ungehorsam kein Fortschritt
Manche Schulstrukturen stören die pädagogische Beziehung:
-
Das Zensuren-Unwesen schreibt vor, bereits kleine Kinder zu entmutigen:
es ist die organisierte Demütigung der Schwachen.
-
Bei den Lehrplanzwängen zählt der „Stoff“,
der „durchgenommen werden muss“, mehr als der Mensch.
Interessen der Lernenden bleiben unberücksichtigt; es kommt zu
verordneter Langeweile.
-
Die unbarmherzige gesellschaftliche Auslese - bereits bei kleinen
Kindern - schürt die Rivalität, statt dass alle Kinder individuell
gefördert werden.
-
Das konkurrente Leistungsprinzip setzt Kinder und Lehrer unter Druck,
statt eines pädagogischen Leistungsverständnisses: das gesteht
Schülern ihr Recht auf persönliche Entwicklung zu und ermöglicht
allen Schülern die ihnen erreichbare Leistung.
-
Die Diktatur der Extemporalien, Schulaufgaben, mündlichen Noten,
Tests stört das Lernen, statt einer pädagogischen
Leistungsmessung; die zeigt den individuellen Lernfortschritt auf
und lässt die Schüler erleben: „Das kann ich jetzt.“
-
Es kommt zur Pathologie der Normalität, wie sie sich in der
wissenschaftlich unhaltbaren „Normalverteilung“ von Zensuren
nach der Gauss’schen Glockenkurve ausdrückt; nach der muss
es „Schlechte“ geben muss.
Ohne sozialen Ungehorsam aufgeklärter Lehrerinnen und Lehrer gibt
es keinen pädagogischen Fortschritt. Sie treten für pädagogische
Vernunft und Humanität ein.
12. Angst mildern, Mut machen durch lernpsychologisch begründetes
Prüfen
Übermäßige Angst mach dumm, krank, unkonzentriert, anpassungsbereit
und schweigsam. Die Angst wird vermindert durch lernpsychologisch begründetes
Prüfen: Die Schüler wissen genau, was „drankommt“,
wirken beim Erstellen der Fragen mit, bekommen ausreichend Zeit und Hilfe,
sich vorzubereiten, üben in Vorversuchen die Prüfung ein, lernen
Methoden geistigen Arbeitens, dürfen Hilfsmittel verwenden. Sie erhalten
die Arbeiten rasch und taktvoll zurück, werden eingehend informiert
über Erfolg und Misserfolg, beraten über das weitere Lernen.
Es wäre lernpsychologisch sinnvoll, missglückte Prüfungen
wiederholen, statt Kinder auf ihrem Misserfolg sitzen zu lassen.
13. Bekanntschaft ist der Feind der Feindschaft – Beziehung zu
Schülern in vielerlei Situationen
Kontakte mildern bei Lehrern und Schülern Fremdheit und Ängste
voreinander: in der Viertelstunde vor Unterrichtsbeginn, nach den Stunden,
während des Unterrichts, in Pausen, im Schullandheim, in Lehrer-Eltern-Schüler-Gesprächen,
auf Wanderungen, bei Projekten... In Schülersprechstunden können
Kinder mit dem Lehrer über das sprechen, wozu sonst keine Gelegenheit
ist: über Lernprobleme oder persönliche Anliegen. Hoch geachtet
werden von Jugendlichen Lehrerinnen und Lehrer, „bei denen man etwas
lernt“, „mit denen man reden kann“, die „die Schüler
ernst nehmen“, die Kinder „anständig behandeln“
und für eine „gute Ordnung und Arbeitsdisziplin“ sorgen.
14. Unterrichtsthema „Zusammenleben“: Kreisgespräch,
Kritik, Vertrag – Wie können wir gut lernen?
Lehrer sollten mit Schülern über deren Lernzufriedenheit sprechen,
über ihre eigene Freude oder ihr Unbehagen am Unterricht. Das ermöglicht
beiden, für eine befriedigende Lernsituation etwas zu tun.
Fragen: Gehe ich in dem Bewusstsein nach Hause: „Heute habe ich
etwas Neues gelernt“? Freuen wir uns auf den nächsten Schultag?
Arbeiten wir gut zusammen? Begegnen wir uns freundlich? Finden wir den
Unterricht interessant? Erleichtere ich Lehrern das Unterrichten? –
Schüler sind „Experten“ in Fragen der Unterrichts. Lehrer
können von ihnen für den Unterricht lernen. Die Gespräche
darüber sollten in ein Arbeitsbündnis für ein positives
Schulklima münden.
15. Lehrer-Schüler-Konflikte gemeinsam bearbeiten – Konfliktfähigkeit
lernen, gewaltfrei handeln
Lehrerinnen und Lehrer können konflikt-bearbeitende Erfahrungen
machen wie diese:
-
Aus dem Machtkampf aussteigen, statt der Stärkere sein zu müssen.
-
Sich begreifen lassen mit dem eigenen Denken und Fühlen.
-
Einander zuhören, den anderen ausreden lassen, ihn aufmerksam
wahrnehmen.
-
Gewalt nicht mit Gegengewalt beantworten; der Vergeltungsregel widerstehen:
dem Schlag folgt kein Gegenschlag. Schlag-Fertigkeit stört oft
die gewaltfreie Konfliktregelung.
-
Verständigung anstreben und mit dem Schüler im Kontakt
bleiben. Wenn es nach einem Konflikt Sieger und Verlierer gibt, ist
die Verständigung missglückt.
-
Feindbilder in der Lehrer-Schüler-Beziehung korrigieren, Freundbilder
aufbauen.
-
Kindern in Konfliktsituationen Halt geben: Grenzen aufzeigen, Orientierungshilfen
vermitteln.
-
Konfliktregelung zum Lerngegenstand machen: Ursachen aufdecken und
Wege gewaltfreier Auseinandersetzung einüben: Streiten und Diskutieren
lernen, Mediation.
-
Gute Gewohnheiten einüben, sie beugen Konflikten vor und erleichtern
das Zusammenleben.
16. Sympathie, der Kern des pädagogischen Arbeitsbündnisses
– Sozial angenehme Lernumwelt
Im pädagogischen Bündnis vereinbaren Lehrer und Schüler
Regeln. Die Vereinbarungen sollten vom Sympathieprinzip getragen sein,
statt vom Machtprinzip: Fähig sein, sich in andere einzudenken und
einzufühlen, Mitleid und Mitfreude, die auf mitempfindendem Verstehen
beruhende Zustimmung. Mit dem Sympathie-Impuls nehmen wir an Kindern Anteil
im Wortsinn des Teilens von Freude und Leid, Stärke und Schwäche,
Geben und Nehmen. Umgekehrt ermöglichen wir den Schülern, sich
in uns als Lehrer einzudenken: Wir lassen uns mit unserem Denken und Fühlen
erkennen, auch als Person. Die Frage nach der Macht weicht der Frage nach
dem befriedigenden Zusammenleben.
17. Sich als Lehrer helfen lassen: Unterrichtliche Kompetenz –
Kollegiale Zusammenarbeit
Lehrerinnen und Lehrer haben es oft schwer: mit schwierigen Kindern,
unzufriedenen Eltern, macht-behauptenden Vorgesetzten, unpädagogischen
Vorschriften – und mit sich selbst. Oft machen sie es sich auch
schwer. Zum Beispiel könnten sie mehr Unterstützung erlangen,
wenn sie aus der Isolation heraus träten: durch kollegiale Gruppenkontakte,
pädagogische Konferenzen, Einzel- und Gruppen-Supervision, kollegiale
Beratung, Offenheit im Umgang mit Problemfällen, Zusammenarbeit im
Kollegium, Eigenständigkeit im Verhältnis zur Schulbehörde,
durch unterstützende Literatur. Einander zuhören, statt aufeinander
einreden, sich mitteilen, statt Überzeugungs-Machtkämpfe zu
führen, verbessert die Kontakte im Kollegium; das wirkt sich hilfreich
auf das Schulleben aus.
18. Pädagogisches Handeln nach PISA: „Die Menschen stärken,
die Sachen klären“
Welche Folgerungen legt die PISA-Studie im Hinblick auf die pädagogische
Beziehung nahe?
-
Den Unterricht differenzieren nach der individuellen Leistungsfähigkeit
der Schüler
-
Die Kinder anleiten, eigenständig zu denken, Informationen
selbständig zu verarbeiten
-
Eigenaktivität ermöglichen: Lernen durch Handeln,
Arbeitsschule statt Redeschule
-
Den Schwächeren helfen, statt sie durch schlechte
Noten in ihrem Ich zu schwächen
-
Nachhelfen in der Schule, statt in außerschulischem
Nachhilfeunterricht
-
Den Unterricht nach Neigung und persönlichen Interessen
differenzieren
-
Die individuelle Arbeitshaltung des einzelnen Kindes berücksichtigen
-
Die Lernmotivation unterstützen, Lernfreude als Unterrichtsziel
anstreben
-
Die Unterrichtsinhalte an den heutigen Lernbedürfnissen
der Jugendlichen orientieren
19. Schülern Erfolg ermöglichen – Differenzierender
Unterricht, individuelle Leistungsmöglichkeiten
PISA erinnert an reformpädagogische Forderungen, wie sie seit hundert
Jahren erhoben, aber nur in besonderen Schulen verwirklicht werden. Dass
eine humane Schule nicht nur das Lernklima verbessert, sondern auch die
Leistungsfähigkeit steigert, zeigt der PISA-Test an Reformschulen,
zum Beispiel an der Bielefelder Laborschule. In diesem „Haus des
Lernens“
-
gibt es keine Ziffernnoten, sondern ausführliche hilfreiche
Empfehlungen
-
kein Sitzen-Bleiben, dafür ein „Aufgefangen-
und Gehalten-Werden“, individuelle Hilfe
-
individualisierenden Unterricht, Kinder lernen auf ihrem
persönlichen Leistungsniveau
-
keinen 45-Minuten-Takt, sondern ganzheitliches Lernen
-
Zusammenarbeiten, statt Konkurrieren, Partner-, Kleingruppenarbeit,
Kreisgespräch
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Keine frühe Selektion: Gemeinsames Lernen bis zur 10.Klasse
-
Lernen in altersgemischten Gruppen, der Klassenverband
kann aufgelöst werden
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Vertieftes Lernen an lebensnahen Lerninhalten, interessegeleiteter
Unterricht
-
Unterricht ist Lernschule, statt Prüf- und Redeschule;
Schüler lernen das Lernen
-
Die Schule wird als Erfahrungsraum verstanden
-
Unterricht muss nicht „Spaß machen“, sondern Erfolg
bescheren: „Das kann ich jetzt“
20. Selbstverpflichtung zu einer pädagogischen Ethik – „Lehrer-Eid“:
Verantwortung für das Lernen
Der Gründer der Bielefelder Laborschule, Hartmut von Hentig, schlägt
vor: So wie Ärzte den hippokratischen Eid, sollten auch Lehrer einen
Eid leisten: eine Selbstverpflichtung, in der sie versprechen, jedes Kind
in seinen Eigenheiten zu respektieren, für seine körperliche
und seelische Unversehrtheit einzustehen, seine Regungen zu achten, ihm
zuzuhören, es ernst zu nehmen. Sie verpflichten sich, Schüler
die Kunst der Verständigung und des Verstehens zu lehren, sie bereit
zu machen, für die Gemeinschaft Verantwortung zu tragen. Lehrer leben
vor, wie man mit Schwierigkeiten zurecht kommt, sich der Kritik der Schüler
und Sachkundigen stellt, und sich allen Verhältnissen widersetzt
– auch Dienstvorschriften – welche die humanen Vorsätze
verhindern. – Ein solcher Eid gäbe engagierten Lehrerinnen
und Lehrer Richtung und Unterstützung in ihrem werterfüllten
pädagogischen Handeln. Für Kinder garantierte er eine zugewandte
Lernumwelt.
21. Grundfrage des Lehrers in der Pädagogischen Beziehung: Wer
bin ich, und wie möchte ich sein?
Lehrer sollten sich auf die persönliche Frage besinnen: Bin ich
als Lehrerin so, wie ich sein möchte? Kann ich als Person mein Lehrer-Selbstbild
bewahren, oder muss ich eine Rolle spielen, die mir nicht liegt? Wie kann
ich mich in meinem pädagogischen Engagement und in meiner Berufszufriedenheit
bestärken? Ist die Kluft zwischen meinem pädagogischen Ideal
und der Schulwirklichkeit zu groß – wie kann ich die Kluft
erträglicher machen? Wie verleihe ich diesem schönen, anstrengenden
Beruf persönlichen Sinn? Wie erhalte ich mir Freude am Lehrer- und
Lehrerinnen-Sein?
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