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Kurt Singer: 

Leitgedanken zu Vortrag und Gespräch
Friedrich-König-Gymnasiums Würzburg, 20.Februar 2008

Eltern-Lehrer-Gespräch und Elternabend
Den Lehrer-Eltern-Kontakt pflegen –
die Lernsituation der Kinder verbessern

1. Eltern und Lehrer, eine schwierige Beziehung – Sie darf nicht zum Nachteil der Kinder werden

Nach einer Befragung gibt es 90 Prozent kontakt-unwillige und reservierte Eltern, sie wollen mit den Lehrern am liebsten nichts tun haben. Auf der anderen Seite stehen 83 Prozent kontaktunwillige und reservierte Lehrerinnen und Lehrer, sie wollen ebenfalls nicht mit Eltern zusammentreffen. – Wenn sich Eltern und Lehrer nicht um eine kooperative Einstellung bemühen, werden die Kinder zu Opfern der gestörten Beziehung. Nur 10 Prozent der Eltern und 17 Prozent der Lehrer sind für den Eltern-Lehrer-Kontakt aufgeschlossen.

2. Die Angst der Eltern vor den Lehrern und der Lehrer vor den Eltern – Versuchen, sich gegenseitig die Angst zu nehmen

Gründe für die Angst sind bei den Eltern Ängste, besonders Autoritätsängste aus der eigenen Schulzeit, reale Ängste vor den Lehrern, von denen sie befürchten, sie könnten ihre Kinder als „Geiseln“ behandeln, wenn sie die Lehrer kritisieren.
Die Angst der Lehrer besteht häufig darin, die Eltern könnten sich zu sehr einmischen, Kritik an ihrem Unterrichtsstil üben, ihre Kompetenz in Frage stellen. Beide Seiten sollten den Mut aufbringen, aufeinander zuzugehen.

3. In Konfliktfällen die Kinder nicht im Stich lassen – Eltern und Lehrer sollten sich um Verständigung bemühen

Leicht ziehen sich Eltern bei Schul-Konflikten mit der Ausrede zurück: „Der Lehrer lässt das Kind büßen, wenn ich sein Verhalten kritisiere.“ Diese Befürchtung trifft in der Regel nicht zu. Kinder büßen vielmehr, wenn Eltern zu pädagogischem Unrecht schweigen. – Lehrer haben durch die Sicht der Eltern die Chance, verständnisvoller auf die Kinder einzugehen. Eltern begreifen durch die Sicht des Lehrers die Schulsituation besser. Im Konfliktfall sollten sich Eltern schützend vor das Kind stellen, es kann sich selbst nicht wehren.

4. Die Eltern-Kritik produktiv in die Eltern-Lehrer-Beziehung einbringen

Nach einer Studie des Instituts für Schulentwicklung Dortmund haben nur 32 Prozent der Eltern Vertrauen in die Lehrer ihrer Kinder. Die Unzufriedenheit der Eltern ist in den letzten Jahren angestiegen: 68 Prozent haben kein Vertrauen in die Lehrer ihrer Kinder. Eltern könnten ihre Unzufriedenheit produktiv machen durch die Zusammenarbeit mit den Lehrern; die Lehrer wiederum sollten gegenüber den Eltern bereit sein, sie anzuhören und sich gemeinsam mit ihnen um pädagogische Verbesserung in der Schulsituation bemühen.   

5. Das Eltern-Lehrer-Gespräch ist Ausdruck des Interesses an den Kindern – An den Schülern Anteil nehmen, statt nur nach Zensuren zu fragen

In einer Befragung gaben 60 Prozent der 15-Jährigen an, ihre Eltern würden sich für das, was sie im Unterricht lernen, nicht interessieren. Diese Achtlosigkeit ist für das Lernen wenig motivierend. Mütter und Väter sollten Anteil nehmen an dem, was Kinder im Unterricht lernen. Diese Anteilnahme  darf nicht ausfragend und kontrollierend und nicht nur im Hinblick auf Zensuren sein, sondern persönlich interessiert daran, womit sich die Kinder beschäftigen: Die Eltern begleiten die schulische Arbeit aufmerksam und nehmen den Lernfortschritt wahr, reden in der Familie über Gelerntes miteinander; sie helfen, wenn das Kind hilflos ist, halten Kontakt zu Lehrerinnen und Lehrer. 

6. Das Eltern-Lehrer-Gespräch: sich verständigen  – Anregungen zur Gesprächsführung für Eltern und Lehrer

Das Eltern-Lehrer-Gespräch sollte auch dann geführt werden, wenn keine aktuellen Konflikte anstehen. Die folgenden Vorschläge sind von den Eltern her gesehen, sie gelten jedoch in gleicher Weise für Lehrerinnen und Lehrer.

  • Gehen Sie mit dem Vorsatz in die Sprechstunde, sich mit dem Lehrer zu verständigen, damit etwas Gemeinsames herauskommen kann. Bauen Sie nicht von vornherein ein „Feindbild Lehrer“ auf.

  • Bereiten Sie sich auf das Gespräch vor und lassen Sie dabei Ihr Kind mitüberlegen.

  • Machen Sie sich, wo dies nötig erscheint, pädagogisch sachkundig, zum Beispiel durch Schulordnung, Unterrichtsgesetz oder pädagogische Grundeinsichten.

  • Hören Sie zu, Zuhören fördert den Kontakt. „Ganz Ohr sein“ ist eine Konflikt lösende Kraft.

  • Re-agieren Sie nicht nur auf das, was der Lehrer sagt, sondern nehmen Sie das Gespräch selbst in die Hand. Fragen Sie nach dem, was Ihnen wichtig ist, sprechen Sie über das, was Sie und Ihr Kind bewegt.

  • Auch Lehrerinnen und Lehrer brauchen ein anerkennendes Wort; es verbessert die Stimmung, wenn Sie etwas Freundliches sagen können.

  • Sprechen Sie nicht nur über den „Schüler“ und die Noten, sondern über Ihr Kind als ganze Person, seine Eigenschaften, auch solche außerhalb des Unterrichts.

  • Greifen Sie die Lehrerin nicht an. Lassen Sie sich mit Ihren Anliegen begreifen und mit Ihrem Denken erkennen, mit dem, was Sie bewegt.

  • Bedenken Sie nicht nur die eigene Angst, sondern auch die Angst von Lehrern vor Ihnen. Vielleicht können Sie versuchen, Ihrem Gegenüber die Angst zu nehmen.

  • Denken Sie als Eltern daran: Sie sind keine Bittsteller. Die Lehrer sind für Ihr Kind da – und nicht das Kind für die Lehrer.

  • Sagen Sie dem Lehrer, was Sie sich wünschen und was die Wünsche Ihres Kindes sind – aber belehren sie ihn nicht.

  • Verstricken Sie sich nicht in Überzeugungs-Machtkämpfe, die sind fruchtlos. Hilfreicher ist, sich gegenseitig wahrzunehmen.

  • Vermeiden Sie Schuldzuweisung und Vorwurf, aber bleiben Sie fest bei Ihren Wahrnehmungen und Wünschen.

  • Überlegen Sie gemeinsam Handlungsvorschläge, die dem Schüler, dem Lehrer und Ihnen weiterhelfen.

  • Betrachten Sie das Gespräch als Beginn der Verständigung. Das Gespräch ist geglückt, wenn es am Ende keine Sieger und Verlierer gibt. Dann kann der Kontakt weiter gehen.

7. Elternabend: Lebendiger Austausch zwischen Eltern und Lehrern – Beide Seiten können die Chance der Verständigung wahrnehmen  

Auf Elternabenden fallen Mütter und Väter leicht in die Schüler-Rolle zurück. Sie erleben sich wie das abhängige Kind aus der eigenen Schulzeit und nicht als gleichwertige Erziehungspartner. Lehrer geraten in Gefahr, sich von vornherein in eine Verteidigungshaltung gegenüber den Eltern zu begeben, zum Beispiel durch Belehrungen, dann fühlen sich die Eltern sich nicht als gleichwertiges Gegenüber behandelt.

Der äußere Rahmen des Elternabends kann es erleichtern, die gegenseitigen Vorbehalte und Blockaden abzubauen, Anregungen für Eltern und Lehrer:

  • Eine gute gemeinsame Vorbereitung des Abends durch Lehrer und Elternsprecher lässt den Elternabend zur gemeinsamen Angelegenheit werden.

  • Eine freundliche Einladung, die über die Themen des Abends Auskunft gibt, kann die Eltern zum Besuch der Elternversammlung anregen. Besonders günstig ist es, wenn sich dafür Lehrer und Elternsprecherinnen über eine gemeinsame Einladung verständigen.

  • Wenn interessante, auf den Schulalltag bezogene pädagogische Themen behandeln werden, regt das Eltern und Lehrer zur gegenseitigem Verstehen an.

  • Eine räumlich angenehme Atmosphäre erleichtert das Gespräch.

  • Es ist günstig, im Gesprächskreis „auf gleicher Höhe“ zu sitzen, statt im Block des Frontalunterrichts.

  • Manchmal wirkt es erleichternd, wenn die für Eltern wie Lehrer unsichere Situation des Abends angesprochen wird.

  • Den Eltern Gelegenheit geben, auch unter sich in Kontakt zu kommen, zum Beispiel durch Partnergespräche und Kleingruppenarbeit. Die lockern die Situation auf.

  • In problematischen Situationen einen Gesprächsleiter wählen, der dafür sorgt, dass Eltern und Lehrer gleichermaßen zu Wort kommen.

  • Alle Themen zur Sprache bringen, die Eltern bewegen, Eltern sollten sich unter sich bereits vorher darüber verständigen.

  • Alle Themen zur Sprache bringen, die Lehrerinnen und Lehrer bewegen.

  • Ein Gesprächsklima schaffen, das den Elternabend nicht zur lästigen Pflicht werden lässt, sondern zu bereichernder Anregung für Lehrer und Eltern.

  • Die Ergebnisse des Elternabends in einem Protokoll festhalten.

8. Eltern sollten die Persönlichkeitsrechte der Kinder schützen: Pädagogischer Takt für angstfreies Lernen als Thema für Eltern und Lehrer

Eltern sollten bedenken: Ein gutes Lernklima befördert das Lernen, zu Hause wie in der Schule. Taktvoll miteinander umzugehen beruht auf der Achtung vor der Würde des Menschen. Die ungleiche Situation zwischen Kindern und Erwachsenen erfordert, sich in Kinder einzudenken, Rücksicht vorzuleben und die Schüler zu Rücksicht anzuleiten. Bei Lehrern wie Eltern mit pädagogischem Takt können Kinder sicher sein, nie bloßgestellt, nicht unvorhergesehen aufgerufen zu werden, sondern nur, wenn sie sich melden. Schüler werden nicht ausgelacht und beschämt, Zensuren nicht vor anderen bekannt gegeben. Taktvolle Lehrerinnen und Eltern bemängeln Fehler nicht öffentlich; sie korrigieren behutsam, um die Schülerarbeit nicht zu entwerten. Sie vermeiden es, geistige und körperliche Schwächen von Jugendlichen aufzuzeigen, sie erniedrigen Kinder nicht durch Ironie, Schimpf- und Spottnamen. Auch für Schüler gilt das Grundgesetz: „Die Würde des Menschen ist unantastbar.“ 

9. In Einzelfällen unpädagogischen Lehrerhandelns den Kindern beistehen – Wege der Konfliktbearbeitung, von den Eltern her gesehen

Die Kinder anhören und sie in Konfliktsituationen unterstützen

  • Das Kind frei erzählen lassen, was es bedrückt. Zuhörend sich dafür interessieren, wie es das ängstigende oder überfordernde oder kränkende Unterrichtsklima erlebt.

  • Mit dem Kind überlegen, ob es selbst etwas tun kann: ob es sich zutraut, zum Lehrer hinzugehen und ihn bitten, es nicht mehr auszulachen. Für manche ist das überfordernd. In jedem Fall brauchen Kinder das Vorbild von Eltern, die zu ihnen stehen.

  • Das Kind in der Schulsprechstunde dabei sein lassen, um „an einem Tisch“ größere Offenheit und Gemeinsamkeit zu schaffen.

  • Klassen- und Schulsprecher in die Konfliktbearbeitung einbeziehen.

Als Eltern aktiv werden und sich einmischen

  • Genau hinsehen, statt wegzuschauen. Den Ist-Zustand der Situation wahrnehmen, damit sich das Kind verstanden fühlt..

  • Das Elterngespräch mit dem schwierigen Lehrer riskieren: Sich begreiflich machen, die Not des Kindes und die eigene Not erkennen lassen. Den Lehrer nicht vorschnell verurteilen, die Lehrersicht anhören, aber auf den Rechten des Schülers bestehen.

  • Gespräche mit anderen Schülereltern führen. Sich solidarisieren.

  • Vorkommnisse schriftlich festhalten, so dass eine Dokumentation entsteht, die glaubhaft ist. Diese Dokumentation dem betreffenden Lehrer zur Stellungnahme vorlegen, damit eine konstruktive Auseinandersetzung auf einer konkreten Grundlage stattfinden kann.

  • Den Lehrer über alle Schritte informieren – über Gespräche mit Schulbehörde und darüber, den  Konflikt öffentlich zu machen, wenn keine Lösung in Sicht ist.

  • Gespräche der Eltern mit der Klassenlehrerin, dem Vertrauenslehrer -  Verbindungslehrer – und mit aufgeschlossenen Lehrern des Kollegiums.

  • Gespräch mit der Schulleitung auf der Grundlage der Dokumentation.

  • Diskussion im Elternbeirat. Gespräche von Elternvertretern mit allen Beteiligten.

10. Eltern können sich pädagogisch sachverständig machen und sich mit Lehrern auf gemeinsame Überlegungen einlassen

Viele Eltern, Lehrer und Schüler haben aus den PISA-Studien nur den Schluss gezogen, auf die Kinder noch mehr Leistungsdruck auszuüben. Hingegen drängen sie nicht darauf, den Unterricht zu verändern. Obwohl den Eltern an ihren Kindern liegt, versäumen sie es, kompetent mitzusprechen. Statt dessen könnten sie sich pädagogisch sachverständig machen, um diskutieren zu können. Dabei könnten sie zum Beispiel erkennen, was zu den guten Leistungen in deutschen Reformschulen und in erfolgreichen PISA-Ländern führt. Sie wüssten dann, was die pädagogischen Konsequenzen für ein gutes Lernen wären und könnten sich gemeinsam mit den Lehrern dafür einsetzen, zum Beispiel:

  • Den Unterricht differenzieren, weil jedes Kind anders ist: ihn nach der individuellen Leistungsfähigkeit des einzelnen Schülers ausrichten. Alle Kinder brauchen Erfolg: durch unterschiedliche Lernziele, die ihrer Begabung gemäß sind. Das führt alle Schüler zu den ihnen möglichen Leistungen.

  • Beim Lernen ohne Noten werden Kinder in ihrer Ganzheit wahrgenommen. Sie erhalten ausführliche individuelle Informationen und Lernhinweise, die sie stärken. Dies führt nachweislich zu besseren Leistungen.

  • Die Auslese nach dem vierten Schuljahr wird Kindern zum Nachteil. Gemeinsames Lernen bis zur 8.oder 10. Klasse ermöglicht den schwächeren, wie den stärkeren Schülern bessere Leistungen als im dreigliedrigen Schulsystem. Das Prinzip, Kinder früh auszulesen schadet der Lernentwicklung aller Kinder. 

  • Kein Sitzen-Bleiben: Kinder nicht „sitzen lassen“, sondern auffangen, ihnen Halt geben und helfen bringt Lernvorteile. Es ist seit Jahrzehnten erwiesen, dass es nur Nachteile für die Kinder bringt, wenn Lehrer sie „durchfallen“ lassen.

  • Die Schüler anleiten, eigenständig zu denken, Informationen selbständig zu verarbeiten, statt überwiegender Belehrung durch Lehrer. Lernen wie man lernt ist wichtiger, als lehrplanmäßig „Stoff durchzunehmen“, um vieles davon wieder zu vergessen.

  • Lernen durch Handeln, Selbst-tätig-Sein gehört zur höchsten Lebensqualität von Kindern. Sie brauchen eine Arbeitsschule statt der Rede- und Zuhörschule, eine Lernschule statt der Prüfschule mit ständigem Testen.  

  • Den Schwächeren helfen, statt sie durch schlechte Noten in ihrem Ich zu schwächen.

  • Nachhelfen im Schulunterricht, statt in außerschulischem, kommerziellem, von Eltern bezahlten Nachhilfeunterricht.

  • Zusammenarbeiten statt Konkurrieren: Partner- und Kleingruppenarbeit, Kreisgespräch und Projektunterricht. Partnerschaftlicher Unterricht ist nicht nur humaner, sondern auch lernwirksamer als Konkurrenz.

  • Interessen wecken und Schülerinteressen berücksichtigen durch lebensnahe Inhalte, die die Schüler „angehen“. Vertieftes Lernen, statt Unmengen „Stoff“ durchzunehmen.

  • Den Unterricht auch nach persönlichen Neigungen und Interessen ausrichten.

  • Kein 45-Minuten-Takt, sondern ganzheitliches Lernen, an Sachen und Schüler orientiert.

  • Die individuelle Arbeitshaltung des einzelnen Kindes berücksichtigen. Jedes Kind hat ein anderes Arbeitstempo, Kinder zählen zu unterschiedlichen Lerntypen.

  • Die Lernmotivation unterstützen, Lernfreude ist ein Unterrichtsziel. Eine Humane Schule ist die beste Leistungsschule.

  • Unterricht muss nicht „Spaß machen“, sondern Erfolg bescheren: „Das kann ich jetzt.“ Lernerfolg motiviert zu weiterer Lernanstrengung.

  • Die Unterrichtsinhalte an den heutigen Lernwünschen Jugendlicher orientieren und daran, was für das Erwachsenenleben notwendig ist.

November 2008

 

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