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Prof. Dr. Kurt Singer

Retten Nachhilfe-Mütter das Gymnasium?
Nachhilfeunterricht gehört in die Schule, nicht in Paukstudios

Wäre PISA ohne Nachhilfe-Mütter noch schlechter ausgefallen?

Das ist anzunehmen, denn Hunderttausende von Schülerinnen und Schülern brauchen neben der Schule zusätzlichen Unterricht. Wären also die seit Jahren diskutierten dürftigen Leistungen deutscher Schüler noch geringer,

  • gäbe es nicht Hunderttausende von Nachhilfe-Müttern, die nachmittags unentgeltlich den vormittags bezahlten Gymnasiallehrern zeitaufwendig nacharbeiten würden?,

  • wenn nicht Abertausende von Nachhilfe-Studenten und Nachhilfe-Lehrern am offenkundig unzureichenden Schulunterricht durch Nachhilfe Geld verdienten?,

  • gäbe es nicht über das ganze Land verstreut Paukschulen, die durch kostspieliges Nachsitzenlassen der Schüler dafür sorgen, dass die Jugendlichen auf den weiterführenden Schulen „mitkommen“?

Vom Gymnasium ist hier die Rede, weil Nachhilfeunterricht in dieser Schulart besonders weit verbreitet ist. Inzwischen brauchen aber auch zunehmend mehr Realschüler außerschulischen Unterricht, und durch den stärker werdenden Auslesedruck immer mehr Grundschüler.

Gute Noten, teuer bezahlt – Müssen Nachhelfer mangelhaften Unterricht ausgleichen?

In welche Klein- oder Großstadt man kommen mag: Überall prangen Plakate an Hauswänden und unübersehbare Anzeigen in Zeitungen, oft bereits auf der Titelseite: „Schülerhilfe“. Schülerhilfe? Schüler geraten offenbar in Not und brauchen Hilfe. Welcher Notstand herrscht hier, dass „Nothilfe“ nötig ist, „Lernhilfe“, „Pannenhilfe“, „Soforthilfe“, „ambulante Unterrichtshilfe“, „Nachhilfe“, „individuelle Prüfungsvorbereitung“, „Fitnesskurs für den Übertritt aufs Gymnasium“? Weshalb bekommen Schüler diese Hilfe nicht von den für Unterricht zuständigen Lehrern? Wenn wir Lehrer-Sein als „helfenden Beruf“ auffassten, müsste die Schule nicht einen Teil der Lernhilfe auf die Nachhilfe außerhalb der Schule abschieben: an Nachhilfelehrer, Paukinstitute, Schülerhelfer, Lernberater, Lerntherapeuten, Hausaufgabenbetreuer, Dyskalkulie-Therapeuten, Legasthenie-Studios, Psychologinnen mit Entspannungsmethoden für überforderte Schüler...

Eltern, die dazu in der Lage sind, zahlen ihren Kindern und sich selbst zuliebe 10 bis 45 € für die Dreiviertelstunde in Paukinstituten, Lernläden, Lernstuben, Legasthenie-Studios, „mobilen Lernzentren“. Kinder wenig verdienender Eltern dürfen auf solche Hilfe nicht hoffen. Daran zeigt sich das sozial Beschämende, das die PISA-Untersuchung offen legt: die Schwachen werden nicht unterstützt, sondern allein gelassen. In kaum einem anderen Industrieland ist der Lernerfolg so stark von der sozialen Herkunft abhängig wie in Deutschland. Schüler aus sozial schwächeren Familien, Kinder von Ausländern werden in der Schule benachteiligt und sie können teuren Nachhilfeunterricht nicht bezahlen.

20 – 30 Prozent brauchen Nachhilfeunterricht – Armutszeugnis für das Gymnasium?

In einer Studie über den Nachhilfeunterricht bei Gymnasiasten kommen die Erziehungswissenschaftler Andrea Abele und Eckart Liebau (1) zu folgenden Ergebnissen: „Mehr als die Hälfte der Eltern hilft ihren Kindern wöchentlich mindestens eine Stunde, mehr als 10 % helfen sogar sechs und mehr Stunden pro Woche. Den meisten Aufwand erfordert Vokabeln abhören, spezielle Vorbereitung vor Schulaufgaben, schwierige Inhalte erklären, Gespräche über den Schulstoff, Hausaufgaben kontrollieren und zusätzliches Üben... Festzuhalten ist: Nachhilfeunterricht stellt sehr häufig keine bloße Kurzzeitmaßnahme dar, sondern eine lange Zeiten des Schulbesuchs begleitende Unterrichtsform für einen erheblichen Anteil der Schüler.

Man kann aus diesen Daten ersehen, in welchem Ausmaß der normale gymnasiale Schulbetrieb auf die Unterstützung durch die Eltern angewiesen ist. Mütter und Väter werden ganz selbstverständlich als ‚Hilfslehrer’ erwartet... Ist es nicht ein pädagogisches Armutszeugnis, wenn eine Schulart für die Erfolge ihrer Schülerinnen und Schüler in solchen Ausmaß außerschulische, private Unterstützung anfordert und braucht?“ – „Ohne Nachhilfe wirst du das Schuljahr nicht schaffen“, sagt der Französisch-Lehrer. Er kann nicht sehen, dass er selbst dazu da wäre, dem Schüler beim Lernen zu helfen, ihn aufzufangen, statt „durchfallen“ und „sitzen zu lassen“.

Wenn Schule für den Lernerfolg Verantwortung übernimmt, wird Nachhilfe überflüssig

In einer anderen Studie zeigte sich: Bereits in der 4.Grundschulklasse erhielten fast 20 % der Schüler Nachhilfeunterricht – aber nicht in der Einrichtung, die für das Lernen zuständig ist, der Schule, sondern außerhalb. Erleben sich Eltern als Versager, wenn ihr Kind von der Schule nicht ausreichend gefördert wird? Wie kommt es, dass sie sich das Versagen der Schule als schuldhaft aufbürden lassen?

„Nachhilfe“ gehört ganz selbstverständlich zum Gymnasium. Fast alle Eltern sind der Ansicht, dass Kinder in „höheren“ Schulen außerschulisch unterstützt werden müssen. Dennoch ist es eher ein verschwiegenes oder peinliches Thema. Eltern geben es nicht gern zu, wenn ihre Kinder Nachhilfeunterricht brauchen. Nach Einschätzung der Lehrer sind ihre Kinder nicht klug genug. Manchmal bekommen sie zu hören, sie gehörteneigentlich nicht auf die „höhere Schule“. Eltern erleben es als persönliche Kränkung, Kinder zu haben, die nicht für das Gymnasium „passend“ sind.

Die Schüler trifft dieses „Du bist nicht gut genug“ besonders hart. Sie werden abqualifiziert, noch ohne dass Eltern und Lehrer darüber redeten, ob denn womöglich der schulische Unterricht „nicht gut genug“ ist. Bräuchten sonst, nach mehreren Untersuchungen, 20 – 30 % der Schüler private Nachhilfe?

Könnte das Gymnasium ohne außerschulischen Nachhilfeunterricht überhaupt bestehen?

Die Untersuchung von Andrea Abele und Eckart Liebau gipfelt in der Vermutung: Ohne Nachhilfeunterricht und ohne häusliche Mithilfe könnte das Gymnasium mit seinen Anforderungen kaum bestehen. Wie wenig sich Schulen für den Lernerfolg verantwortlich fühlen, zeigt sich in jenen Ganztagsschulen, in denen die Kinder um 16.00 oder 17.00 Uhr nach Hause kommen. Viele von ihnen sind aber noch lange nicht fertig, sondern müssen noch weitere Hausaufgaben machen. Diese Schüler beneiden ihre Eltern um einen geregelten Achtstundentag und das freie Wochenende.

Es ist erstaunlich: Niemand findet etwas dabei, dass vormittags Lehrerinnen und Lehrer unterrichten, die eigens dafür da sind, Kinder zu unterrichten. Aber nachmittags tritt ein Heer privat bezahlter Nachhilfelehrer auf den Plan. Manchmal sind es gar die gleichen, die vormittags ihre Klasse unterrichten und nachmittags anderen Schülern Nachhilfeunterricht erteilen. Dazu sind noch zahllose unbezahlte Nachhilfemütter gefordert. In 54 % der Fälle ist die Mutter die Haupt-Unterstützungs-Person.

Weshalb protestieren Mütter nicht gegen die ihnen aufgebürdete Unterrichtshilfe?

Wenn Eltern danach befragt werden, weshalb ihr Kind Nachhilfe braucht, geben sie zu Beginn der Gymnasialzeit an: Die Umstellung von der Grundschule ins Gymnasium sei schwierig, die Stoffmengen wären zu umfangreich, der häufige Lehrerwechsel für die Kinder irritierend, die Schüler bekämen nicht ausreichend Zeit, um in Ruhe arbeiten zu können, der Unterricht sei zu unpersönlich, die Lehrer redeten zu viel und zu abstrakt, auf Kinder die langsam sind, werde zu wenig Rücksicht genommen. Alle diese Gründe stimmen, und alle könnten dazu anstoßen, die Schule pädagogisch zu reformieren. Aber es gibt kaum ein ernst zu nehmendes Engagement der Schülereltern für ihre Schulkinder.

Auf späteren Schulstufen ändert sich die Einstellung der Eltern zur Notwendigkeit von Nachhilfe. Obwohl alles weiterhin gilt, was die Eltern am Anfang der Gymnasialzeit zu Recht als unpädagogisch kritisierten, wird jetzt die Arbeitshaltung der Jugendlichen als Ursache für die Leistungsschwierigkeiten angesehen: die Schüler würden sich zu wenig anstrengen, interessierten sich zu wenig, seien zu „faul“. Dass „Faulheit“ Ausdruck von Resignation sein kann, dass Desinteresse mit Lehrplaninhalten zusammenhängen mag, die an den Interessen der Schüler glatt vorbei gehen, dass zu geringe Anstrengungsbereitschaft Symptom schulischer Entmutigung sein kann, darf nicht mehr gesehen werden. Mit dieser Zuweisung der Schuld an die Schüler ersparen sich Eltern und Lehrer die Auseinandersetzung, durch die etwas verändert werden könnte.

„Jetzt haben wir eine Fünf gekriegt!”- Die Belastung der Mütter

Es gibt Mütter und Väter, die an Kindern ihren eigenen Ehrgeiz befriedigen wollen und deshalb unnachgiebig auf Leistung drängen. Aber bei der Mehrzahl der Mütter ist es Mitleid, wenn sie sehen, wie Kinder hilflos vor einer Mathe- oder Englisch-Aufgabe sitzen. Sie erleben die Verzweiflung der Kinder mit, wenn sie mit einer Algebra-Aufgabe überfordert sind und dann trotz der mütterlichen Hilfe versagen: „Jetzt haben wir eine Fünf geschrieben.“ Eigentlich müsste sich der Lehrer Gedanken machen, wenn eine Klassenarbeit schlecht ausfiel. Aber selbst ein Klassendurchschnitt von 4,5 bringt Eltern und manche Lehrer selten auf die Idee, dass bei einer so mangelhaften Schülerleistung nicht nur die Schüler versagten, sondern auch ein unzureichender Unterricht ursächlich sein muss.

Oft unterstützen Mütter ihre Kinder unter schwierigen Bedingungen: Die Nachhilfe belastet sie zeitlich, oft müssen sie den Lernstoff selbst lernen. Meist wissen sie nicht, dass sie es sich, zum Beispiel in Mathematik, leichter machen können, indem sie sich die (teuren) Lösungshefte besorgen. Die erleichtern ihnen und den Schülern die lernpsychologisch wichtige Sofortkontrolle. Schulbuchverlage erschweren den Nachhelfern die Arbeit. Sie folgen dem versteckten Lehrer-Machtdenken und geben die Lösungshefte an Nicht-Lehrer nicht heraus. Die Lehrer-Begleithefte sind dann nur durch den Trick über Lehrer-Mütter oder Lehrer-Väter zu beschaffen. Dies ist nicht nur ein Ausdruck unglaublicher Missachtung der Lernpsychologie, sondern auch Ausdruck der Abwesenheit von Demokratie.

PISA: „Im Gymnasium werden Schüler von Lehrern wenig unterstützt“

„Ich bin in Englisch einfach nicht mehr mitbekommen, obwohl ich mich verzweifelt anstrengte“, sagt die vierzehnjährige Kathi. „Jetzt bezahlen mir meine Eltern Nachhilfe, das gebe ich offen zu. Im Unterricht wird der Stoff durchgezogen, egal, ob du mitkommst oder nicht.“ - „Der Stoff wird durchgezogen“: als ginge es nicht um Kinder und Jugendliche. Die zu Hilfe gerufenen „Lerntrainer“ arbeiten dann nach und bereiten vor, was die Schule offensichtlich nicht schafft. Weshalb wird Kathi nicht in der Schule geholfen, wo die Fachleute für diese Hilfe da sind?

Gymnasiasten müssen sich außerhalb der Schule unterstützen lassen, weil ihnen Lehrer keine individuelle Lernhilfe gewähren. In der PISA-Studie heißt es: „In Gymnasien wird eine signifikant geringere Lehrerunterstützung wahrgenommen. Insgesamt lassen die Ergebnisse den Schluss zu, dass es aus der Schülersicht noch erhebliche Möglichkeiten zur Qualitätsverbesserung des Unterrichts gibt“ (2). Es lohnte sich, die Schülersicht ernst zu nehmen und Jugendliche den Unterricht mitgestalten zu lassen; denn Schüler können am besten sagen, was ihnen dabei hilft, gut zu lernen.

„Nachhilfe“ für Lehrer, statt für Schüler – Weiterbildung in Unterrichtspsychologie

Statt Kinder in „Nebenschulen“ nachholen zu lassen, was in der offiziellen Schule versäumt wurde, müssten Lehrer pädagogischen und didaktischen „Nachhilfeunterricht“, also eine unterrichtspsychologische Fortbildung bekommen. Die könnte dazu befähigen, Schülern, die der Lernhilfe bedürfen, selbst nachzuhelfen. Nachhilfeunterricht für Lehrer, statt für Schüler? Wenn man diesen Zusammenhang herstellt, wird deutlich, dass „Nachhilfe“ den Beiklang von Geringschätzung enthält: aber nicht nur für Lehrer, sondern auch für Schülerinnen und Schüler. Und was sollen Lehrer bei dieser Weiterbildung lernen?

  • Wie man Kindern hilft, selbst tätig zu sein, als Lehrer möglichst wenig spricht, dafür die Schüler alles selbst tun lässt, was sie selbst tun können.

  • Wie man den Lernstoff so aufbereitet, dass er für die Kinder verstehbar und durchschaubar ist, mit so viel Anschauung wie möglich.

  • Wie man alle Sinne in den Lernprozess einbindet durch Mehrfach-Information. Die wird den unterschiedlichen Lerntypen der Schüler gerecht: sehen, hören, sprechen, schreiben, lesen, strukturieren, nachdenken, diskutieren, mit dem Partner Probleme lösen, beobachten. Die Schüler erfassen das Neue durch möglichst viele „Eingangskanäle“.

  • Wie man das Interesse der Jugendlichen weckt; denn interessierte Schülerinnen und Schüler lernen besser, weil sie die Sache persönlich „angeht“.

  • Wie man als Lehrerin und Lehrer in klarer Sprache anschaulich erklären kann und die Schüler am Prozess des Verstehens aktiv beteiligt.

  • Wie Kinder das Lernen lernen: wie man sie in die Techniken geistigen Arbeiten einführt, die es ihnen selbst ermöglichen neue Fähigkeiten zu erwerben.

  • Wie man das Lernen angesichts der Tatsache organisiert, dass jedes Kind anders ist. Deshalb muss der lernpsychologische Widersinn aus der Schule verbannt werden, dass alle Schüler zur gleichen Zeit, im gleichen Arbeitstempo, über die gleiche Sache, auf dem gleichen Leistungsniveau , mit der gleichen Lernmethode lernen sollen: durch differenzierenden und individualisierenden Unterricht.

  • Wie man Schülerinnen und Schülern möglichst viel körperliche und geistige Eigen-Bewegung verschafft.

Helfersystem: Thema für die Zusammenarbeit von Eltern, Lehrern und Schülern

Wenn Eltern für ihre Kinder eine Schule schaffen wollen, in der Schüler gut lernen können, müssten sie sich sachkundig machen. Der Zusammenarbeit aller Beteiligten können folgende Aspekte zu Grunde liegen:

  • Nachhilfe gehört in die Schule. Kinder werden von ihren Lehrern hilfreich unterstützt, wenn sie etwas nicht verstehen, wenn sie der Lernstoff überfordert, wenn sie mehr Zeit brauchen, weil sie langsamer sind als andere.

  • Jede Schule kann ihr eigenes Helfersystem aufbauen, wie es in Alternativschulen der Fall ist. Nachhelfen können die Lehrer, wenn in den Unterrichtsstunden zu wenig Zeit ist, die Individualität der Schüler zu berücksichtigen. Das Helferprinzip gilt für den gesamten Unterricht. Helfen können die Stärkeren den Schwächeren, ältere Schüler übernehmen gern den „sozialen Dienst“, Jüngeren beizustehen, auch sie selbst lernen viel dabei. Helfen können Lehrer, die spezielle didaktische Fähigkeiten besitzen, Lernvorgänge für Kinder durchsichtig und verstehbar zu machen.

  • Förderunterricht in kleinen Gruppen brauchen Kinder, die sich im Lernen schwer tun. Sie sollen individuell gefördert werden, nicht in der Vorstellung, sie müssten den Leistungsstand aller anderen erreichen, sondern die für sie erreichbare Leistung.

  • Ganztagsschulen, so sie Eltern und Kinder wünschen, haben nur dann einen pädagogischen Sinn, wenn die Lehrer und Helfer Verantwortung für das Lernen und den Lernerfolg übernehmen – und nicht nur dafür, dass die Schüler den „ganzen Tag aufgehoben“ sind. Die Schüler dürfen nicht noch am Abend mit Hausaufgaben belastet werden.

  • Ein für Kinder verstehbarer Unterricht, der ihrem individuellen Aufnahmevermögen, ihrem Lerntempo angepasst ist und ihr Interesse weckt, trägt dazu bei, dass Nachhilfeunterricht nur in bestimmten Lernsituationen notwendig ist.

  • Wenn Eltern bei Lernkrisen nachhelfen, soll das in Absprache mit den Lehrerinnen und Lehrern und mit Hilfe derer Anregung geschehen. Lehrer übernehmen die Verantwortung für das Lernen – nicht nur für die „Erfüllung des Lehrplans“.

  • Lerninhalte müssten auf ihren Sinn überprüft werden, den sie für das jetzige und das Erwachsenenleben haben. Wenn das Lernen für die Jugendlichen einen einsehbaren Sinn hat, wächst ihre Anstrengungsbereitschaft und sie brauchen nicht jemand, der sie zusätzlich „antreibt“.

  • Die Stoffengen müssen radikal gekürzt werden. Diese seit einem halben Jahrhundert immer wieder neu erhobene und seit eben dieser Zeit von der Schule konsequent ignorierte Forderung kann nur durch den vernünftigen Druck der Eltern, der Unterstützung durch Fachdidaktiker, Erziehungswissenschaftler und pädagogisch engagierter fachkompetenter Lehrer durchgesetzt werden. Jeder Lehrer kann sofort damit beginnen, durch weniger Lernstoff das Lernen zu vertiefen.

  • Einander-Helfen und Kooperation sollten Unterrichtsprinzip sein. Das Helferprinzip tritt an Stelle des lernstörenden und inhumanen Konkurrenzprinzips. Dadurch können sich Schüler nicht nur eines sozial angenehmen Klassenklimas erfreuen, sondern sie werden auch leistungstüchtiger. Zu den Ländern, deren Schüler sich in der PISA-Studie als leistungsstark zeigten, gehören solche, in denen die Schüler bis zum 10. Schülerjahrgang beisammen bleiben und gemeinsam lernen; in ihnen gibt es kein Sitzenbleiben.

  • Den Schülern Methoden des Lernens vermitteln. Unter ständigem Notendruck lernen sie immer gerade das, was von heute auf morgen notwendig ist: für das nächste Ausfragen, die Stegreifaufgabe oder Klassenarbeit. Und das in unterschiedlichen Fächern, in denen das Lernen in keiner Weise aufeinander abgestimmt ist.

  • Lehrer sollten nicht nur „Stoff durchnehmen“, sondern für das Lernen verantwortlich sein. Zu viele Lehrer verstehen sich als „Stoff-Vermittler“. Sie spalten die für das Lernen wichtige pädagogische Beziehung ab. Lehrer sollten Lernhelfer sein: sie sehen es als ihre Aufgabe, nicht nur das Lehrplan-Pensum zu erfüllen, sondern den Kindern – jedem Kind – zum Lernerfolg zu verhelfen.

Wenn Lehrer-Sein als „helfender Beruf“ aufgefasst würde – und das ist das Schöne an diesem anstrengenden Beruf –, und Unterrichten als „helfende Beziehung“, würde Nachhilfeunterricht überflüssig.

1 Abele, Andrea und Liebau, Eckart: Wieviel Nachhilfe brauchen Schülerinnen und Schüler bayerischer Gymnasien? In: Die Deutsche Schule 1998, Nr.90

2 PISA 2000, S. 498

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